Ein Hochzeitsritual zwischen Tradition, Haltung und Herzgefühl

Die Hochzeit ist oft einer der emotionalsten, sichtbarsten und öffentlichsten Momente im Leben einer Frau. Umso größer ist der Wunsch, dass dieser Tag „stimmig“ ist – im Inneren und im Außen. Aber was, wenn ein Teil der Zeremonie sich plötzlich falsch anfühlt?

So ging es Jana, einer Braut, die ich im Coaching begleiten durfte.

Ihre Frage: „Darf mein Vater mich eigentlich noch zum Altar führen – oder verrate ich damit meine Werte?“

Eine Frage, die weit über das Offensichtliche hinausgeht. Und die sich – vielleicht in anderen Worten – viele moderne Bräute stellen.


Ein Hollywood-Bild in deutschen Kirchen

Die Szene kennen wir alle: Der Vater führt seine Tochter durch den Mittelgang, vorne wartet der Bräutigam. Die Gäste drehen sich um, viele weinen. Und irgendwo klingt romantische Musik. So sieht „der Moment“ in den meisten Hollywoodfilmen aus. Kein Wunder, dass viele Bräute dieses Bild tief verinnerlicht haben.

Aber: In der deutschen Hochzeitstradition gibt es dieses Ritual eigentlich nicht. Historisch wurde die Brautübergabe vor der Kirchentür vollzogen – symbolisch als Übergang vom Haus des Vaters ins neue Zuhause. Danach schritt das Paar gemeinsam zum Altar.

Das Bild vom „Vater bringt die Braut zum Bräutigam“ stammt aus dem angelsächsischen Raum – und aus der Filmwelt.

Was steckt eigentlich dahinter?

Hinter der romantisch inszenierten Geste steht ein jahrhundertealtes Rollenbild:

– Der Vater „besitzt“ die Tochter.
– Die Tochter wird einem neuen „Besitzer“ übergeben – dem Ehemann.
– Sie wechselt vom einen Schutzraum (Elternhaus) in den anderen (Ehe).
– Diese Vorstellung steht im Widerspruch zu vielen modernen Beziehungen, die auf Augenhöhe und Selbstbestimmung beruhen.

Für Jana war das der innere Konflikt: Sie liebt ihren Vater und möchte diesen Moment gern mit ihm teilen.
Aber sie fragt sich: „Wie passt dieses Ritual zu meinem feministischen Selbstverständnis – und zu unserer gleichberechtigten Beziehung?“

Rituale dürfen sich verändern

Im Coaching mit Jana haben wir drei Dinge gemacht:

– Verstehen, woher das Ritual kommt
– Wissen gibt Sicherheit – und macht bewusst, dass man es hinterfragen darf

Die eigenen Werte benennen

Für Jana waren das:
– Selbstbestimmung, Gleichwürdigkeit, Augenhöhe
– Eine neue Lösung finden

Jana hat sich entschieden: Ihr Vater begleitet sie bis zu seinem Platz in der ersten Reihe. Den letzten Schritt geht sie allein – auf ihren Partner zu. So wird Nähe nicht ausgeschlossen – sondern bewusst eingebunden.

Dein Aha-Moment?

Vielleicht bist du an einem ähnlichen Punkt. Vielleicht fühlst du, dass „etwas nicht ganz passt“ – ohne sofort zu wissen, warum.

Dann hilft dir diese Frage:
– Was steckt hinter dem Ritual – und was davon möchte ich wirklich leben?
– Du musst dich nicht gegen deine Familie oder gegen dein Herz entscheiden
– Es geht nicht um ein „entweder Tradition oder Selbstbestimmung“
– Es geht darum, was DU daraus machst

Ein neuer Ablauf, eine andere Geste, eine persönliche Symbolik – Rituale können weiterentwickelt werden. Sie dürfen wachsen, so wie du gewachsen bist.

Fazit: Du darfst dein Ritual neu schreiben

„Macht man das als Feministin?“ ist keine rhetorische Frage. Es ist eine Einladung.

Dazu, dich selbst zu fragen:
– Was fühlt sich für mich stimmig an?
– Wen möchte ich ehren – und wie?
– Was braucht mein Herz, um JA sagen zu können – mit voller Überzeugung?

Denn genau das ist es, was deine Hochzeit einzigartig macht: Wenn du nicht nur Ja sagst – sondern es auch wirklich fühlst.